Zugewachsene Zechen, leerstehende Villen, verlassene Bahnhöfe – der Kreis Recklinghausen ist durchzogen von Orten, die aus der Zeit gefallen scheinen. Diese sogenannten Lost Places sind mehr als Ruinen: Sie erzählen von industriellem Aufstieg, strukturellem Wandel und gesellschaftlichem Stillstand. Zwischen vergessener Architektur und neuem Nutzungskonzept bieten sie Raum für Erkundung, Erinnerung – und Debatte. Doch was darf man dort eigentlich? Welche Orte lohnen sich? Und was passiert mit den stillen Zeugen von einst?
Das Wichtigste in Kürze
- Lost Places sind meist verlassene Gebäude mit historischem oder industriellem Hintergrund – rechtlich nicht frei zugänglich
- Der Kreis Recklinghausen beherbergt bekannte Beispiele wie Zeche Westerholt, Blumenthal 7 oder die ehemalige Trabrennbahn
- Viele Orte unterliegen Eigentumsschutz – Betreten ohne Erlaubnis gilt als Hausfriedensbruch (§123 StGB)
- Gesundheitsrisiken bestehen durch Bauschäden, Schimmel oder Schadstoffe
- Einige Lost Places sind heute kulturell erschlossen oder legal im Rahmen von Führungen begehbar
Inhaltsverzeichnis
- Was sind Lost Places – und warum faszinieren sie?
- Lost Places im Kreis Recklinghausen: Zwischen Zechen, Villen und Vergessen
- Die alte Trabrennbahn Recklinghausen
- Warum Menschen Lost Places besuchen
- Rechtliche Fragen, Risiken und der Urbex-Kodex
- Vom Lost Place zur Kulturfläche: Was sich verändert
- Lost Places finden – aber richtig
- Fazit: Entdecken mit Respekt – und Verantwortung
Was sind Lost Places – und warum faszinieren sie?
Der Begriff „Lost Place“ stammt aus der Szene der Urban Explorer. Gemeint sind damit Orte, die verlassen oder aufgegeben wurden – Fabriken, Krankenhäuser, Bergwerke, Wohnhäuser. Sie stehen meist leer, sind nicht offiziell zugänglich, aber voller Geschichte. Gerade das Ungewisse macht ihren Reiz aus: Was war hier? Warum wurde es aufgegeben? Und was blieb zurück?
Im Kreis Recklinghausen, einem Kerngebiet der ehemaligen Montanindustrie, trifft dieser Reiz auf eine Vielzahl konkreter Spuren: Von den stillgelegten Zechen u00fcber brachliegende Bahntrassen bis zu ungenutzten Zweckbauten. Es sind Orte, an denen Geschichte greifbar wird – nicht inszeniert, sondern roh.
Lost Places im Kreis Recklinghausen: Zwischen Zechen, Villen und Vergessen
Der Kreis Recklinghausen – mit Städten wie Marl, Herten, Dorsten oder Castrop-Rauxel – bietet viele solcher verlorenen Orte. Einige davon sind dokumentiert, andere kursieren nur in Urbex-Foren oder sozialen Medien.
Beispiele:
- Zeche Westerholt (Herten/Gelsenkirchen): 2008 stillgelegt, Teile heute zugänglich
- ehemalige Bergarbeitersiedlung („Schlägel & Eisen“ der Zeche Zweckel)
- Zeche Blumenthal 7 (Recklinghausen): durch Verein Blumenthal 7 e.V. gesichert
- Verlassene Villen in Recklinghausen-Süd: unterschiedlich erhalten, teils gesichert
- Bahnrelikte in Marl und Dorsten: oft überwuchert, selten dokumentiert
Wichtig: Adressen und Koordinaten werden aus Schutzgründen selten veröffentlicht. Wer sucht, muss recherchieren: über Luftbilder, historische Karten, Lokalarchive oder Gespräche mit Anwohnern.
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Die alte Trabrennbahn Recklinghausen
Die Trabrennbahn Recklinghausen war einst eine der modernsten Anlagen Westdeutschlands. Mitte des 20. Jahrhunderts jubelten hier tausende Besucher. Seit 2007 liegt das Gelände brach. Urbexer fanden dort leere Stallungen, zugewachsene Ränge und eine schleichend verfallende Tribüne.
Heute ist alles im Wandel: Im Rahmen des Projekts „Wohnen am Wasser“ entsteht dort ein neues Stadtquartier mit See, Park und Wohnbebauung. Laut Stadtentwicklungsplan Recklinghausen (Die Zukunft der ehemaligen Trabrennbahn) ist vorgesehen, Teile der historischen Struktur als landschaftsarchitektonisches Element zu integrieren. Die Projektfläche umfasst rund 17 Hektar – damit gehört sie zu den größten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen in der Region. mit See und Wohnbebauung. Teile der alten Struktur bleiben sichtbar. Die Trabrennbahn ist damit kein Lost Place mehr – sondern ein Beispiel für Umnutzung mit historischem Bezug.
Warum Menschen Lost Places besuchen
Lost Places wecken Neugier. Manche suchen das Abenteuer, andere die Fotomotive. Viele wollen einfach wissen, was hinter der Mauer liegt. Wer sich mit dem Thema ernsthaft beschäftigt, entdeckt aber mehr: Fragmente von Biografien, Architektur des Wandels, Zeichen von Wachstum und Verfall.
Drei typische Fragen:
Wie finde ich Lost Places?
Über Online-Foren, alte Pläne, Archivmaterial. Vorsicht: Viele Orte sind nicht mehr vorhanden oder stark verändert.
Was brauche ich?
Feste Schuhe, Taschenlampe, Kamera, ggf. Maske (Schimmel, Staub). Nie allein gehen.
Was ist erlaubt?
Rein rechtlich: Nichts ohne Erlaubnis. Die Urbex-Szene folgt jedoch dem Leitsatz: „Take nothing but pictures, leave nothing but footprints.“
Rechtliche Fragen, Risiken und der Urbex-Kodex
Und was passiert, wenn man erwischt wird?
Beispielszenario: Eine Person betritt ohne Erlaubnis das Gelände einer leerstehenden Industriehalle in Herten. Das Gelände ist nicht umzäunt, aber im Besitz der Stadt. Ein Sicherheitsdienst entdeckt sie, fotografiert ihr Auto und informiert die Polizei. Die Folge: Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gemäß §123 StGB.
Mögliche Konsequenzen:
- Ermittlungsverfahren, ggf. Einstellung gegen Auflage (z. B. Spende)
- Geldstrafe, bei Wiederholung auch Strafbefehl möglich
- Kein Eintrag im Führungszeugnis bei erstmaligem, geringfügigem Verstoß
Hinweis: Die Staatsanwaltschaft entscheidet im Einzelfall über die Schwere des Vergehens. Das Betreten ohne Sachbeschädigung wird häufig als geringfügig gewertet – ist aber rechtlich eindeutig verboten.
Quelle: §123 StGB, Erfahrungen aus Stadtverwaltungen im Ruhrgebiet (z. B. Herten, Recklinghausen)
Das Betreten fremder, nicht öffentlich freigegebener Gebäude ist Hausfriedensbruch – auch wenn kein Zaun oder Schild davorsteht. Wer erwischt wird, muss mit Anzeige rechnen. Besonders bei aktiven Sicherungen (z. B. Kameras, Wachdienst) ist die Lage eindeutig.
Weitere Risiken:
- Einsturzgefährdete Strukturen
- Schadstoffe (Asbest, Öl, Farben)
- Schimmel- und Staubbelastung
Die Szene selbst hat daher klare Regeln etabliert:
- Keine Zerstörung
- Keine Mitnahme
- Keine Standortveröffentlichung
- Keine Selbstgefährdung
Vom Lost Place zur Kulturfläche: Was sich verändert
Viele Orte im Kreis Recklinghausen sind im Wandel. Die Zeche Westerholt wurde unter Denkmalschutz gestellt und in ein städtebauliches Konzept integriert. Heute finden dort Veranstaltungen statt – etwa im Rahmen der Extraschicht oder als Street-Art-Galerie.
Ähnlich bei Blumenthal 7: Der Verein rettete das Gelände vor dem Abriss. Kulturelle Veranstaltungen, Co-Working-Räume und Kunstausstellungen sollen dort langfristig entstehen. Das Projekt zeigt: Lost Places können Zukunft haben, wenn Engagement, Finanzierung und Planung stimmen.
Lost Places finden – aber richtig
Wer eigene Orte entdecken möchte, sollte:
- In Archiven recherchieren: Zeitungsartikel, Insolvenzen, Gebäudeakten
- Luftbilder vergleichen: Google Earth mit historischen Karten abgleichen
- Diskret vorgehen: Keine Adressen weitergeben, Orte nicht verwüsten
Tipp: In vielen Städten gibt es Heimatvereine, Stadtarchivare oder Fotografen, die ihr Wissen teilen – respektvoller Kontakt zahlt sich aus.
Fazit: Entdecken mit Respekt – und Verantwortung
Lost Places im Kreis Recklinghausen sind mehr als Kulissen. Sie sind stumme Erzähler von Arbeit, Wandel, Leere und Hoffnung. Wer sie erkundet, sollte nicht nur neugierig, sondern auch achtsam sein. Denn was heute verborgen liegt, kann morgen Denkmal oder Baustelle sein.
Wer legal unterwegs sein möchte, findet Alternativen: Geführte Touren über Zechengelände, Ausstellungen in erhaltenen Industriehallen oder Projekte wie Blumenthal 7, bei denen Teilhabe explizit erwünscht ist.
Du kennst selbst einen vergessenen Ort im Kreis Recklinghausen oder engagierst dich für den Erhalt historischer Bauwerke? Schreib uns deine Erfahrungen in den Kommentaren!
Quellen: Stadt Recklinghausen, Verein Blumenthal 7 e.V., WAZ, Ruhrnachrichten, eigene Vor-Ort-Recherche. Wo keine gesicherten Informationen vorliegen, wird dies im Text transparent gemacht.